Immer wieder aktuell: Der Parkplatz-Unfall

Es passiert beinahe täglich: zwei rückwärtsfahrende PKW kollidieren beim Ausparken. Und immer wieder stellt sich die Frage: wer haftet wie? In seiner Entscheidung vom 11.10.2016 (Az. VI ZR 66/16) hatte der BGH über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

 

Gegenstand des Verfahrens waren Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall auf einem Parkplatz. Dabei waren zwei Fahrzeuge beim Ein- bzw. Ausparken mit dem Heck zusammengestoßen, wobei eines der beiden Fahrzeuge noch vor der Kollision zum Stehen gekommen war.  Die Haftpflichtversicherung des Beklagten hatte den Schaden der Klägerin auf Grundlage einer Haftungsquote von 50 % reguliert. Eine Klage auf weitergehenden Schadensersatz war sowohl in erster also auch in zweiter Instanz mit dem Hinweis auf den hier vermeintlich geltenden Anscheinsbeweis abgewiesen. Der BGH jedoch hob die vorinstanzliche Entscheidung auf...

und nahm zugleich zu den Grundsätzen des Anscheinsbeweises bei Unfällen während des Rückwärtsfahrens wie folgt Stellung:

  1. Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rück-wärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nach § 1 StVO in Verbindung mit der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat.
  2. Dagegen liegt die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs regelmäßig nicht vor, wenn beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere rückwärtsfahrende Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das
    Fahrzeug hineingefahren ist.
  3. Unabhängig vom Eingreifen eines Anscheinsbeweises können die Betriebsgefahr der Fahrzeuge und weitere sie erhöhende Umstände im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG Berücksichtigung finden.

Für die Praxis bedeutet dies: das regelmäßig von den gegnerischen Versicherungen angesetzte Mitverschulden von 50 % bei Parkplatz- oder ähnlichen Verkehrsunfällen ist keineswegs unumstößlich, insbesondere nicht aufgrund eines vermeintlich immer anzunehmenden Anscheinsbeweises. Vielmehr sind bei der Haftungsabwägung sämtliche Faktoren einzubeziehen, so dass es schnell zu einer anderen Bewertung kommen kann. Zögern Sie also nicht, auch bei einem vermeintlich leicht regulierbaren oder vermeintlich ausweglosen Verkehrsunfall anwaltliche Beratung einzuholen - die Kanzlei GONDOLATSCH rechtsanwälte berät Sie hierzu gerne. (RA Jörg Gondolatsch, Fachanwalt für Verkehrsrecht)